Wer geht, etwas zu erreichen, verliert was er hatte

Tom hat es schon öffentlich gemacht: Ich verabschiede mich von Kassel, wo ich fast 30 Jahre gelebt habe, und von BEELINE, wo ich die Hälfte dieser Jahre am Schlagzeug gesessen habe. Wir haben viel erreicht. Ich erinnere da nur an unsere spektakuläre Reihe B-Day im Theaterstübchen in Kassel. Jeden Monat wieder haben wir uns etwas Besonderes ausgedacht, wir haben Gastmusiker eingeladen, wir haben eine Live-CD und einen Videoclip produziert. Und wir sind gewachsen, wie wir schon an so vielen Dingen gewachsen sind. Denken wir an die erste gemeinsame CD „The Meeting“, die Mitte der 90er entstanden ist. Denken wir an die aufwändige Rock-Revue „Auf den Schirm“, etwa zur gleichen Zeit. Zweimal haben wir das Theater im Burma ausverkauft. Letztlich blieb es dabei, weil wir lernten, dass eine Mixtur aus Rock und Theater zuviel technischen Aufwand braucht, um das Projekt weiter zu verfolgen. Man kann uns vorwerfen, dass wir unsere Kräfte nicht immer effizient eingesetzt haben, aber man kann uns nicht vorwerfen, dass wir nicht immer 120 Prozent gegeben hätten, um unserem Publikum, unseren Fans, um euch etwas zu bieten. Wir haben kleine Clubs gerockt ebenso wie die großen Bühnen beim Hessentag oder beim Kasseler Stadtfest.

Tom schrieb, ich ginge mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge. Das kommt der Wahrheit nah. Ich würde sagen, ich gehe nach Brandenburg wie ein Mann, der genau weiß, dass er etwas hinter sich lassen muss, um das zu erreichen, was er sich wünscht. Und wie ein Mann, der glücklich ist, dass es weh tut, zu gehen, weil sonst das, was ihn 15 Jahre lang umgab, nichts wert gewesen wäre. Ich mache mir da keine Illusionen: Es wird mir fehlen, mit dieser menschlich wie musikalisch fantastischen Band auf der Bühne zu stehen (zu sitzen), es wird mir fehlen, im inoffiziellen Bandlokal Boccaccio nach den Proben um Kleinigkeiten zu streiten, weil wir alle nur eins wollen: Das beste für die Band und für euch, unsere Fans. Und es wird mir fehlen, nach dem Konzert noch mit den Freunden der Band zusammenzusitzen und den Auftritt noch einmal Revue passieren zu lassen.

Umso mehr werde ich meine Abschiedsauftritte genießen. Am 3. November spielen wir in der Kirche in Simmershausen ein Benefizkonzert und im Januar ist ein letzter Auftritt mit mir in den Kasseler Nachthallen anvisiert. Luise Rinser hat einmal geraten: „Man muss mit 30 anfangen alt zu werden, dann ist es wunderbar.“ Dann rät die Schriftstellerin: „Vorher freilich muss man sich in Leid und Leidenschaften vollständig hineinbegeben, muss riskieren, wie ein zerrupfter Tiger aus den Situationen hervorzugehen. Sonst bleibt man ein kraftloses Kätzchen.“ In diesem Sinne hat BEELINE da wohl noch ein paar junge Jahre vor sich, um durch Leid und Leidenschaft, aber auch durch Freuden und Erfolge zu gehen.

4 Gedanken zu „Wer geht, etwas zu erreichen, verliert was er hatte

  1. heul, schluchz, augen reib! Du weißt ja, was die Eagles damals über Kassel gesungen haben: ‚You can check in any time you want, but you can never leave!‘.

  2. ich war vor einiger zeit auf einer ganz schönen lesung:
    „… und webte etwas das niemals stirbt“ hieß das buch über keltische märchen. alle verstanden’s und selbst der sprecher musste da manchmal ein tränchen verdrücken.
    glaube du hast das buch schon…

  3. Mir gefällt der Spruch, wenn ich dich bei den verbleibenden Konzerten, nach deinem Solo, als Drummer aus Brandenburg an der Havel absagen darf. It’s not over ‚til it’s over!

  4. Schöne Worte hast Du gefunden. Wir waren und sind schon ein verrückter Haufen. Weil jeder was zu sagen hatte, und jeder sich mit der Band auf seine eigene Art und Weise identifizierte, standen wir uns so manchesmal selbst im Wege. Aber immer gings weiter, und welch ein Wunder, es ging trotzdem voran!
    Ich hoffe, dass diese Form der Demokratie eine gute Schule für Dich, lieber Wolff, gewesen ist, und dass Du in Deinem neuen Leben zu zweit noch erfolgreicher voranschreitest.

    Keep on rocking und bis zum 03.11.07!

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